Gegen das
laute Schlachtengetümmel hebt sich das klare und ruhige linke Bild an der Nordwand der Aula ab:
"Dominikaner überlassen ihr Kloster der Universität. 1527". Dieses wohl am strengsten komponierte Bild des
Zyklus besticht nicht nur durch seinen Aufbau und durch die Wahl der Farben - die weißen Ordensgewänder mit den schwarzen Mänteln betonen durch ihre senkrechten Linien den diagonal angeordneten Zug von links hinten aus einem dunklen Torbogen nach vorn rechts ins Licht -, sondern auch durch die Porträts der Mönche, bei denen
Janssen im deutlichen Unterschied zum Elisabethbild auf grobe Überzeichnungen verzichtet.
Im
Konrad-Elisabeth-Bild sollte
gezeigt werden, wie ein brutaler Machtmensch eine Heilige bedroht, deren
Antlitz die Glattheit und Ausdruckslosigkeit der "süßen" Heiligenköpfe des
ausgehenden 19. Jahrhunderts spiegelt; die Gesichter der Kranken wirken irr
und verzerrt.
1527 dagegen, so die bewußte Aussage des Gemäldes, wurde im evangelischen
Hessen das re1igiöse Leben nicht mehr von Gewalt bestimmt. Selbst der Auszug
der Mönche vollzog sich in vernünftigen Bahnen: Philipp der Großmütige
sicherte den Klosterleuten Leibrenten zu und erlaubte, daß sie ihr
kirchliches Hab und Gut mitnehmen durften, wie es in zeitgenössischen
Quellen heißt. So tragen viele der jungen wie alten Patres deutlich sichtbar
Meßbücher und Reliquienkästchen, und der Leiterwagen, der links ins Bild
hineinragt, nimmt die zusätzlichen Gepäckstücke auf, vor allem eine schwere
Kiste, die sicherlich wertvolles Klostergut enthält.
Die Betonung der vernünftigen neuen Zeit schließt nicht aus, daß Janssen den
Gesichtern der Paters individuelle Züge verleiht, die an Vorurteile aus
Literatur und tradierten Spottgesängen erinnern. Zwar gibt es kluge
Gesichter, die mit Arroganz oder Verschlossenheit den Ernst der Stunde
überspielen; aber auch Mönche mit glattem oder stumpfen Antlitz lassen den
Betrachter eher an Essen und Trinken denken als an das Ende der Dominikaner
in Marburg.
Die von Janssen so geliebte Menge darf in diesem Bild nur die Köpfe hinter
dem Mönchszug recken, mit Ausnahme eines Jungen, der auf einen Baum
geklettert ist. Kinder hat der Maler auch auf dem
Reformatorenbild und auf dem
Sophie-von-Brabant-Bild zur
Auflockerung gebraucht; auf dem letzteren ist es ein blumengeschmücktes Mädchen, das den Betrachter anschaut, und ein Junge, der die
Blickrichtung zur Fürstin hin unterstützt, indem er die Mauer, die zu den
Stufen führt, hinaufklettert; auf dem
Reformatorenbild begleitet
u. a. ein laufendes Kinderpaar die Theologen, und ein an Leibl gemahnendes
Mädchen am linken Bildrand wirkt geradezu anrührend.
Die wichtigste Aussage des Bildes, die den Zeitgenossen Janssens stärker
bewußt war, muß uns Nachgeborenen ins Gedächtnis gerufen werden: Die Mönche
verlassen ihr Kloster, das zusammen mit zwei anderen Marburger Klöstern seit
1527 die erste evangelische Universität Deutschlands beherbergen sollte, den
Ort, auf dem der Neubau der Universität 1873 mit seiner imposanten Aula
errichtet wurde. Der genius loci wurde also mit diesem Bild mehrfach
beschworen.