Im letzten Bild, "Professor Christian Wolf wird von Marburger Studenten eingeholt. 1723", nimmt der Maler ein
Ereignis auf, das schon in den Vorschlägen der "Akademischen Kommission zur Ausschmückung der Aula" im Mai 1890 als Thema erwähnt wurde. Es ist neben der Begrüßung der
Reformatoren und
dem
Auszug der Dominikaner
als einziges Gemälde von dem ursprünglich als Selbstdarstellung der Universität gedachten ikonographischen Programm übriggeblieben.
Durch die kluge Entscheidung des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, dem aus
Halle wegen seiner "Religionsfeindlichkeit" ausgewiesenen Mathematiker und
Philosophen Christian Wolff in Marburg eine Professur anzubieten, lebte
Marburg für 17 Jahre als Universitätsstadt auf. Daß seine Kollegen in
Marburg gegen Wolffs Kommen protestierten, zeigt das Bild nur indirekt: Dem
berühmten Mann, der in der linken Bildmitte dunkel gekleidet mit
Allonge-Periicke aus seinem Reisewagen steigen will, empfangen nur jubelnde
Studenten; Professoren aber oder gar die Universitätsspitze sind nirgends zu
sehen.
Die begeisterten Studenten, von hinten oder im Halbprofil gemalt, stehen dem
Betrachter allein schon durch ihre Größe, aber auch durch die Anordnung
näher als alle Personen und Personengruppen auf den anderen sechs Bildern
des Zyklus. Mit ihnen schaut man auf den berühmten Gelehrten, ihre
sorgfältig gemalten Gesichter, zur Begrüßung geschwungenen Dreispitze und
hochgereckten Arme unterstützen die Blickrichtung. Damit der
Identifizierungsprozeß für den Besucher der Aula, für die Marburger
Studenten und Bürger, nach leichter fällt, sieht man im oberen Drittel des
Bildes die Dacher der winterlich grau-weißen Stadt, dieses Mal keine
idealtypische Stadt des 18. Jahrhunderts, sondern Marburg mit dem Schloßberg
links vom Kutscher und dem Dach der Elisabethkirche und den abgeschnittenen
Türmen rechts, sogar die Dächer der Gebäude des Deutschen Ordens sind nicht
vergessen worden.
Mit dem durch Wolff vertretenen Rationalismus, mit klarem Verstand also ist
es gelungen, die religiöse Enge zu überwinden, wie sie auf anderen Bildern
des Zyklus, dem
Elisabethbild
und dem
Dominikanerbild,
dargestellt wird. Das ungebrochene Vertrauen in die Macht der Vernunft, der
Fortschrittsglaube und die um 1900, zur Entstehungszeit der Gemälde,
vorherrschende Zukunftshoffnung sind überzeugend eingefangen.
Daß die um. die Orgel gruppierten Bilder an der Nordwand -Die Dominikaner
verlassen ihr Kloster, Studenten begrüßen den berühmten Aufklärer -eine
gedankliche Einheit bilden, stellte schon während der Rektoratsübergabe am
18. Oktober 1903 der scheidende Rektor, der Altphiloloe Theodor Birt, in
seinem Rechenschaftsbericht fest. Er betonte in dieser Rede, in der die
Gemälde erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, daß die Absicht des
Wolff-Bildes nicht darin liege, zu zeigen, daß "der beriihmte Wolff dem
Lehrkörper angehört habe", sondern man wolle " vielmehr an einem bestimmten
Beispiele erkenntlich" machen, "wie auch die späteren Hessenfürsten als ,rectores
magnificentissimi' sich stets ihrer Pflichten gegen die Stiftung Philipps
bewußt gewesen sind und daß sie alles aufboten zu deren Bliihen, Wachsen und
Gedeihen." Wir Heutige könnten noch hinzufügen: wie jetzt, 1903, der
preußische Landesfürst, der Kaiser des Deutschen Reiches, ihm nacheiferte,
indem er dieses prächtige Gebäude errichten ließ.
Eine andere Wendung aus dieser Rede unternimmt den Versuch einer Gesamtinterpretation des Zyklus, natürlich verkürzt im Hinblick auf die Universität
Marburg. "Er (Janssen) will uns auf dem Boden Marburgs die gesamte deutsche
Geistesentwicklung zeigen, die drei Phasen durchlief: Scholastik und Askese, die in
Konrad von Marburg vor uns stehen. Sie zu überwinden entstand die
Reformation, die unsere Hochschule schuf. Aber auch diese Hochschule der
Reformation war noch zu engen und spezifisch kirchlichen Geistes und wurde
endlich überwunden von der reinen freien Wissenschaft, die sich hier für uns
in Wolff verkündet ...Darum wird uns die studentische Jugend auch erst auf
diesem letzten Bilde gezeigt: erst die freie Wissenschaft ist es, der sie
zujubelt."